Uhrenmacher Marti Bonadurer (von Jeremias Jehli)

Der Uhrenmacher Marti hatte in seinem ganzen Wesen etwas Eigenes, man könnte auch sagen etwas Wunderliches, etwas, das einem fast irgendwie fremdartig anmutete.

Zum Teil lassen sich seine Eigenheiten damit erklären, dass er sehr stark schwerhörig war. Was man ihn etwa fragte oder zu ihm sagte, das hat er manchmal ganz falsch verstanden und dann bekam man die seltsamsten Antworten zu hören! Oft sagte er aber mit seiner rauhen Bassstimme ganz einfach: "Ha nüüt verschtanda". Das sagte er oft mehrere Male, und er hielt dann so lustig seine flache rechte Hand hinter die "grosse Ohrmuschel.

So lange ich den Uhrenmacher Marti kannte, lebte er meistens als Einsamer im Versamer Armenhaus "in dä Schtuda". Ob er wirklich irgendwo bei einem Uhrenmacher in die Lehre gegangen ist, das weiss ich nicht. Ich glaube es kaum! Eher ist er einfach von sich aus zu diesem schönen Beruf gekommen, ganz einfach weil er Freude hatte an den Uhren, besonders an den alten Schwarzwälderuhren. Solche Uhren, die oft schon jahrelang verstaubt in einer Ecke gelegen sind, hat er mit unendlicher Geduld meistens wieder zum Laufen gebracht.  Nur zu klein und zu fein durften die Uhren nicht sein, die er instandsteIlen sollte. Dies wurde einem schon klar, wenn man seine groben, klobigen Hände sah. Manche Leute sagten von ihm auch im Lachen, er sei mehr ein Uhrenverderber. Aber das war er nicht!  Er konnte wirklich etwas in diesem Beruf. In seiner einsamen Stube im Schtudahus hatte er eine ganz interessante Sammlung von alten Schwarzwälderuhren.

Unser Marti war auch viele Jahre Messmer in Versam, wobei seine spezielle Aufmerksamkeit und Liebe natürlich der grossen altmodischen Kirchenuhr galt. Selbstverständlich musste zu seiner Amtszeit noch von Hand geläutet werden, und das besorgte Marti gewissenhaft und gut. Im Kirchweg begegnete er einem oft, wenn er mit beschleunigten Schritten, in seiner typischen, eher etwas schwerfälligen Gangart, dem Turme zustrebte, um zu läuten. Er gehörte damals so richtig zum Dorfbild von Versam. Schon sein Grossvater ist in Versam Messmer gewesen. Von ihm hat Agatha Engi einmal geschrieben," er sei ein seltsamer Kauz gewesen, "dem wohl das Alter und nicht der Druck des Weltwesens die Haare hatte grau werden lassen". Und dies traf später ganz genau auch auf den Uhrmacher Marti, seinen Enkel, zu.

Dieser hatte in der Schule beim Lernen Schwierigkeiten gehabt, wie ich das von meiner Mutter weiss, welche mit ihm in Versam zur Schule gegangen ist. Von verschiedenen Mitschülern sei er dann oft ausgelacht und geplagt worden. Dies erklärt wohl, warum in seinem Wesen später manchmal auch ein gewisses Misstrauen feststellbar war. Es ging immer eine Zeitlang, bis man sein volles Zutrauen gefunden hatte. Dann wurde er aber plötzlich leutselig und zeigte grosse Freude, wenn man sich nach seinem Ergehen und nach seinen alten Uhren erkundigte. Ja, Marti war ein vielseitiger Mann. Sein Lebenswerk erschöpfte sich keineswegs im Uhrenflicken und im Läuten der Versamer Kirchenglocken. Oft war er da und dort als Taglöhner tätig, und als Geisshirt hat er seiner Heimatgemeinde viele Jahre gute Dienste geleistet.

Der Uhrenmacher Marti entstammte einem verarmten Zweig des ehemals bedeutenden und verbreiteten Geschlechtes der Versamer Bonadurer.

Sein Vater sei der letzte Pechbrenner in unserer Gegend gewesen. Er ist schon früh gestorben - als unser Marti erst 8 Jahre alt war. So musste dieser als armes und verschupftes Waisenbüblein aufwachsen. Er hat es auch später nie auf einen grünen Zweig gebracht. Von ihm konnte man sicher mit Recht sagen, er sei arm gewesen wie eine Kirchenmaus.

Aber plötzlich hörte man in der Gemeinde munkeln, der Uhrenmacher Marti habe Aussichten, ein grosses Vermögen zu erben. Er werde also bald einmal der reichste Versamer sein.

Siehe auch Königliche Verwandtschaft?